Hamburger Euthanasie-Opfer - Die Toten von 1939 - 1945
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Erläuterungen von Harald Jenner

Für die Fragen, wer ein Opfer der »Euthanasie« ist und wer als Hamburger Opfer der NS-Euthanasie anzusehen ist, mussten pragmatische Definitionen gefunden werden, um den Rahmen dieses Gedenkbuches abzustecken.

Opfer der NS-Euthanasie

Als Opfer der NS-Euthanasie werden in diesem Gedenkbuch Menschen verstanden, die zwischen dem 1. September 1939 und dem 31. Dezember 1945 in einer Einrichtung starben, die speziell der Tötung diente, in der bewusst Einzelne getötet wurden oder in der besondere Umstände zu weit überdurchschnittlichen jährlichen Todesraten führten (20 % und höher), unabhängig davon, ob im Einzelfall die Tötung direkt nachzuweisen ist oder nicht. Zu den Opfern der NS-Euthanasie werden auch jene Menschen gerechnet, die auf dem Weg in solche Einrichtungen starben oder sich das Leben nahmen.

In Einrichtungen, in denen bewusst durch Medikamente gemordet wurde, wie beispielsweise in Meseritz, Hadamar ab 1942 oder Pfafferode, kann zwar nicht bei jedem Todesfall nachgewiesen werden, dass es sich hier um eine gezielte Tötung des Opfers gehandelt hat. Dennoch sind die in diesen Einrichtungen verstorbenen Menschen grundsätzlich als Opfer der »Euthanasie« zu bewerten, da hier ein natürlicher Tod wenig wahrscheinlich ist, dagegen ein durch die Umstände in einer solchen Anstalt zumindest beschleunigtes Sterben sehr viel naheliegender. So werden zum Beispiel alle nach 1941 in den Ricklinger Anstalten (nicht zu verwechseln mit dem Ausweichkrankenhaus Rickling) verstorbenen Hamburgerinnen und Hamburger in diesem Gedenkbuch als Opfer der »Euthanasie« auf­gefasst. Denn durch die starke, von den Hamburger Behörden veranlasste Überbelegung wurde der Tod der Patientinnen und Patienten nicht nur in Kauf genommen, sondern herbeigeführt.

Doch es können nicht alle Menschen, die zwischen 1940 und 1945 in einer Heil- und Pflegeanstalt oder ähnlichen Einrichtung starben, als Opfer der »Euthanasie« angesehen werden. Zwar verschlechterten sich die Zustände in allen Krankeneinrichtungen zu Kriegsende durch Mangel an Nahrung und Medikamenten erheblich, sodass dadurch viele Menschen zu Tode kamen, dennoch macht es einen deutlichen Unterschied, ob ein Mensch durch die allgemeine schlechte Versorgungssituation den Tod fand oder bewusst durch Gas oder Medikamente ermordet wurde bzw. der Tod durch bewusste Unterversorgung mit Nahrung oder Vernach­lässigung gezielt herbeigeführt wurde.

Eine besondere Herausforderung war es, die zugrunde gelegte Definition auf die verstorbenen Kinder in den beiden Hamburger Kinderfachabteilungen Langenhorn und Rothenburgsort anzuwenden. Zahlreiche Kinder wurden nicht im Rahmen des Verfahrens des »Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« ermordet, sie starben auch unter Umständen, die eine verdeckte Vergiftung mit Medikamenten oder eine Tötung durch Unterlassung nahelegen. In das Gedenkbuch aufgenommen wurden daher auch die Kinder, für die eine nach dem Reichsausschussverfahren meldepflichtige Diag­nose gestellt wurde und deren Tod kurz nach der Aufnahme bekannt ist. Dabei muss offenbleiben, ob das förmliche Reichsausschussverfahren zur Genehmigung der Tötung begonnen wurde oder nicht. Dies ist auch bei vielen Tötungen in außerhamburgischen Kinderfachabteilungen, wie beispielsweise in Wien (Spiegelgrund) und Kalmenhof, der Fall.

Hamburger Opfer der NS-Euthanasie

Als Hamburger Opfer der NS-Euthanasie werden für dieses Gedenkbuch verstanden:

  1. Opfer, die in Hamburg oder einem Ort, der heute zu Hamburg gehört oder zur Zeit der Geburt zu Hamburg gehörte, geboren wurden,
  2. Opfer, die 1939 bis 1945 aus einer Hamburger Einrichtung deportiert wurden,
  3. Opfer, die 1939 bis 1945 aus einer Einrichtung deportiert wurden und vorher ihren Wohnsitz in Hamburg (im Sinne der unten aufgeführten Orte) hatten.

Zu 1: Hierunter fallen alle Opfer mit folgenden Geburtsorten:

  • Stadt Hamburg mit den zugehörigen Landherrschaften und Ämtern, wie beispielsweise Bergedorf und Cuxhaven
  • Stadt Altona (mit Groß Flottbek, Klein Flottbek, Nienstedten, Blankenese mit Dockenhuden und Iserbrook, Rissen, Osdorf, Sülldorf, Lurup, Eidelstedt, Stellingen, Langenfelde)
  • Stadt Wandsbek (mit Marienthal, Hinschenfelde, Tonndorf)
  • Stadt Harburg
  • Stadt Wilhelmsburg
  • Stadt Geesthacht

Dazu sind auch die bis 1937 zu Schleswig-Holstein gehörenden Dörfer hinzuzuzählen:

Bergstedt, Billstedt, Bramfeld, Duvenstedt, Hummelsbüttel, Lemsahl-Mellingstedt, Lohbrügge, Poppenbüttel, Rahl­stedt, Sasel, Steilshoop, Wellingsbüttel, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen.

Berücksichtigt wurden ebenfalls die ehemals zur Provinz Hannover gehörigen Orte:

Curslack, Altenwerder, Finkenwerder, Fischbek, Francop, Gut Moor, Kirchwerder, Langenbeck, Marmstorf, Neuenfelde, Neugraben, Neuland, Rönneburg, Sinstorf, Overhaken, Cranz.

Zu 2: Zu diesen Opfern zählen u. a. diejenigen nicht in Hamburg geborenen, nach den Nürnberger Rassengesetzen als Juden geltenden Personen, die aus schleswig-holsteinischen Einrichtungen kamen und nur wenige Tage – bis zu ihrer Verlegung – in Langenhorn waren. Ebenso gehören zu den Opfern alle Gefangenen aus dem Konzentrationslager Neuengamme, die im Rahmen der »Sonderbehandlung 14 f 13« in die Tötungsanstalt Bernburg verlegt wurden, unabhängig von ihrer Herkunft.

Zu 3: Hierunter werden die Namen derjenigen Opfer erfasst, die aus einer nicht Hamburger Einrichtung deportiert wurden, ursprünglich aber ihren Wohnsitz in Hamburg hatten. Dies sind vor allem Heimbewohnerinnen und -bewohner sowie Patientinnen und Patienten aus Schleswig, Kropp, Rickling, Neustadt/Holstein, Lüneburg, Lübeck-Strecknitz und Rotenburg/Wümme, die bereits in den 1920er und 1930er Jahren in diese Anstalten aufgenommen worden waren und von dort verlegt wurden und ums Leben kamen. In den Anstalten in Rotenburg/Wümme und Lüneburg waren vor allem Harburger untergebracht. In den Einrichtungen in Schleswig und Neustadt waren es hauptsächlich Altonaer und Wandsbeker.

Es sind aber auch Hamburgerinnen und Hamburger aufgeführt – soweit sie namhaft gemacht werden konnten –, die in Einrichtungen in anderen Orten lebten und Opfer wurden, da es selbstverständlich in Heimen und Krankenhäusern in ganz Deutschland Hamburgerinnen und Hamburger gegeben hat.

Nicht aufgenommen wurden nach dieser Definition alle Patientinnen und Patienten aus Hamburger Einrichtungen – sofern sie nicht durch Wohnort oder Geburt als Hamburger zu gelten haben –, die außerhalb der »Euthanasie«-Aktionen entlassen oder verlegt wurden und dann später über nicht Hamburger Krankenanstalten Opfer der »Euthanasie« wurden. Dies betrifft beispielsweise die nicht in Hamburg geborenen Patien­tinnen und Patienten aus Friedrichsberg oder Langenhorn, die bereits 1937 entlassen worden waren und später an einem anderen Ort erneut in eine psychiatrische Klinik aufgenommen und von dort aus in den Tod »verlegt« wurden. Dazu gehört auch ein Kind aus Mecklenburg, das sich zur Be­obachtung in der Langenhorner Kinderfachabteilung befunden hatte, dann aber zu seinen Eltern entlassen worden war und von diesen wenig später nach Leipzig in die dortige Kinderfachabteilung gebracht wurde, wo es ermordet wurde. Obwohl unzweifelhaft ein Opfer der »Euthanasie«, kann es aber nicht zu den Hamburger Opfern gerechnet werden.